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Was ist Sucht?

Bei den Suchterkrankungen beziehungsweise Abhängigkeitserkrankungen unterscheidet man zwischen stoffgebundenen Abhängigkeiten (z.B. Alkoholabhängigkeit, Drogenabhängigkeit, Nikotinabhängigkeit oder Medikamentenabhängigkeit) und nicht-stoffgebundenen Abhängigkeiten (z.B. Glücksspielsucht, Computerspielsucht oder Internetsucht).

Vorurteile gegenüber Suchterkrankten

Befragt man verschiedene Personen, die sich mit Abhängigkeitserkrankungen nicht auskennen, wie sie sich einen typischen Suchterkrankten vorstellen, werden sicherlich des Öfteren Vorurteile wie beispielsweise „Abhängige sind willensschwach…!“ auftauchen. Da man dieses stereotypische Denken leider viel zu oft in unserer Gesellschaft beobachten kann und sich viele Suchterkrankte diesem ausgesetzt fühlen, möchte ich an dieser Stelle unbedingt mit diesen Vorurteilen „aufräumen“.

Zahlreiche Studien legen nahe, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit und den Abhängigkeitserkrankungen gibt. Vergleicht man also die Menge von Personen, die an einer Sucht erkrankt sind, mit denen, die nicht an einer Sucht erkrankt sind, lassen sich keine Unterschiede in Bezug auf die Persönlichkeitsdisposition Willensstärke finden. Manch einer mag sich nun fragen, wieso dieses Vorurteil dennoch in der Gesellschaft kursiert. Hierzu sei zu nennen, dass Abhängigkeitserkrankte oftmals IN FOLGE ihrer Erkrankung eine Beeinträchtigung des Willens und der Steuerungsfähigkeit erleben. Willensschwäche ist aber KEINE Ursache für die Entstehung einer Abhängigkeitserkrankung!

Des Weiteren legt die aktuelle Befundlage nahe, dass die Erkrankung an sich nicht genetisch vererbbar ist. Vererbt werden kann lediglich eine Anfälligkeit dafür, eine Abhängigkeitserkrankung zu entwickeln. Diese Anfälligkeit zeigt sich beispielsweise in angeborenen Unterschieden in Bezug auf die Verträglichkeit von Substanzen und wie gut diese Substanzen vom Körper wieder abgebaut werden können.

Zu guter Letzt sollte erwähnt werden, dass es keinen Unterschied zwischen Abhängigkeitserkrankten und Nicht-Abhängigkeitserkrankten in Bezug auf die Anzahl kritischer Lebensereignisse gibt. Ein kritisches Lebensereignis kann die Entstehung einer Abhängigkeit zwar mitbedingen, jedoch läuft die Entwicklung der Erkrankung schleichend und nicht abrupt ab.

Entstehung einer Abhängigkeit

Kurzum bedarf es keine spezifischen Gründe für die Entstehung einer Abhängigkeit, es tragen vielmehr die Wechselwirkungen zwischen PERSON, UMWELT und WIRKUNG des Suchtmittels zur Entstehung der Erkrankung bei. Zentral für die Entwicklung einer Abhängigkeit sind dabei die nachfolgenden drei Punkte:

  1. Positive Erfahrung
    Vor Beginn der Abhängigkeit muss die betroffene Person mindestens einmal in ihrem Leben eine positive Erfahrung mit dem Suchtmittel gemacht haben. 
    (Beispiel: Die betroffene Person besucht in ihrem Jugendalter zum ersten Mal eine Party. Sie fühlt sich sehr gehemmt und wünscht sich, ein wenig gelassener zu werden. Gleichzeitig beobachtet sie, wie alle Leute um sie herum Alkohol trinken und scheinbar großen Spaß haben. Um selbst „lockerer“ zu werden, greift die Person zu ihrem ersten Bier. Die erhoffte Wirkung bleibt nicht aus und die Person macht die Erfahrung, dass sie mit Hilfe des Alkohols ausgelassen feiern und einen lustigen Abend verbringen kann.)
  2. Gewöhnung/ Übertragung
    Damit sich eine Abhängigkeit entwickeln kann, muss die betroffene Person an der zuvor gemachten positiven Erfahrung anknüpfen. Zum einen greift sie zunehmend in Situationen, die der Situation des Erstkonsums ähnlich sind, auf das Suchtmittel zurück und zum anderen beginnt sie eventuell auch in anderen „schwierigen“ Situationen damit, das Suchtmittel zu konsumieren.
    (Beispiel: Nach der ersten positiven Erfahrung mit Bier beginnt die betroffene Person auf weiteren Partys Alkohol zu trinken. Ganz nach dem Gedanken: „Dank des Alkohols hatte ich bei der letzten Party einen genialen und amüsanten Abend – das möchte ich diesmal wieder erleben“. Mit der Zeit hat sich die Person so an den Alkoholkonsum auf Partys gewöhnt, dass sie es sich ohne diesen gar nicht mehr vorstellen kann. Als nun eine wichtige Prüfung ansteht, macht sich bei der betroffenen Person ein Gefühl von Anspannung und Nervosität breit. Da kommt ihr der Gedanke an den Alkohol, der ihr auf den Partys immer so gut dabei geholfen hat, die Anspannung zu verlieren und sich selbstsicher zu fühlen. Zunehmend drängt sich der Person der Gedanke auf: „Wenn der Alkohol mir sonst immer hilft, die Anspannung zu verlieren, wird er mir sicher auch in dieser Situation helfen!“. Dieser Gedanke lässt die betroffene Person nicht lange zögern und sie greift vor ihrer Prüfung zum Alkohol.)
  3. Abhängigkeit entsteht 
    In Folge der Gewöhnung und Übertragung des Suchtmittelkonsums auf verschiedene Lebensbereiche kann sich eine Abhängigkeit entwickeln. Im Zuge dessen werden alternative „konsumlose“ Verhaltensweisen als sehr mühsam betrachtet und in der Regel kaum bis gar nicht genutzt. Kurz gesagt, der Konsum ist zur Selbstverständlichkeit geworden.

Diagnosekriterien für eine Abhängigkeit

Gemäß des ICD-10 – ein international anerkanntes Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen – wird eine Abhängigkeit sodann diagnostiziert, wenn mindestens drei der nachfolgenden sechs Kriterien über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr erfüllt sind:
  1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang eine Substanz zu konsumieren
  2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Beendigung oder Menge des Konsums
  3. Körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums
  4. Toleranz gegenüber der Substanz (d.h. verminderte Wirkung bei gleicher Dosis oder Dosissteigerung um die gleiche Wirkung zu erreichen, die ursprünglich mit niedrigeren Dosen erreicht wurde)
  5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums sowie erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen
  6. Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweis eindeutig schädlicher Folgen (körperlich, psychisch und/ oder sozial)

Therapie von Abhängigkeitserkrankungen

Je nach Schwere der Abhängigkeitserkrankung empfiehlt sich eine ambulante oder stationäre Behandlung. Im stationären Bereich wird häufig eine qualifizierte Entzugsbehandlung angeboten, bei welcher neben der körperlichen Entgiftung auch psychotherapeutische Einheiten im Fokus stehen. Hierbei soll unter anderem die Veränderungsmotivation der Patienten gefördert sowie ihre Selbstwirksamkeit in Bezug auf den Umgang mit potentiellen Risikosituationen gestärkt werden. Die Patienten bekommen hierfür unterschiedliche Strategien an die Hand, um Risikosituationen bewältigen und mit Suchtdruck
(= Craving) umgehen zu können.

Viele Patienten beschreiben das Gefühl, der Suchtruck würde bis ins Unermessliche ansteigen, wenn man diesem nicht nachgibt (im Sinne eines erneuten Konsums/ Rückfall). Tatsächlich ist es in Bezug auf den Suchtdruck aber so, dass dieser mit der Zeit von alleine wieder abnimmt. Dies kann den Patienten im Rahmen von Expositionen verdeutlich werden, bei welchen sie in kontrollierten Settings mental oder real mit dem Suchtmittel konfrontiert werden (selbstverständlich ohne es zu konsumieren). Während der Konfrontation werden die Patienten dazu aufgefordert den Verlauf ihrer individuellen Anspannungskurve zu beobachten.

Um die Abstinenz anschließend langfristig zu festigen, werden Rehaprogramme und/ oder Suchthilfegruppen empfohlen.