Selbstmitgefühl
Gastbeitrag von Assistentin Nicola
Zu Beginn möchte ich Dich zu einem kleinen Gedankenexperiment einladen. Versuche Dir einmal folgende Situation vorzustellen:
Du triffst Dich mit einer guten Freundin auf einen Kaffee. Während ihr dort gemeinsam sitzt erzählt sie Dir, dass sie in letzter Zeit viele Probleme hatte. Du merkst, dass sie sehr besorgt und traurig ist. Sie berichtet außerdem, dass sie sich wie eine Versagerin fühlt, da sie in letzter Zeit aufgrund von Antrieblosigkeit viele Dinge vernachlässigt hat.
Was tust Du in dieser Situation? Was geht durch Deinen Kopf, als Du Dir die Sorgen Deiner Freundin anhörst? Vielleicht hört sich Deine Antwort in etwa so an: Ich höre mir ihre Sorgen aufmerksam an und nehme sie ernst. Vielleicht kann ich sie in irgendeiner Weise sogar trösten und finde aufmunternde Worte? Ich versichere ihr, dass sie nicht alleine ist und ich immer für sie da sein werde. Sie ist keine Versagerin, nur weil sie eine schwere Zeit durchlebt. Ganz im Gegenteil: das macht sie in meinen Augen besonders stark.
Und? Hätte Deine Antwort ähnlich ausgesehen? Wenn ja, dann hattest Du sehr wahrscheinlich großes Mitgefühl mit deiner Freundin. Mitgefühl für andere Menschen zu haben und zu zeigen ist eine tolle Eigenschaft, da es uns empathischer mit unserer Umwelt interagieren lässt. Es trägt zu einer herzlichen und menschlichen Umwelt bei.
Nun aber zu Dir: Wie sieht es mit Dir aus? Zeigst Du Dir dasselbe Mitgefühl?
Selbstmitgefühl - was ist das überhaupt?
„Mit Selbstmitgefühl schenken wir uns selbst die gleiche Güte und Fürsorge, die wir auch einem guten Freund oder einer guten Freundin schenken würden.“– Kristin Neff
Der Begriff Selbstmitgefühl stammt aus der buddhistischen Philosophie und bedeutet, dass Du mit Dir selbst genauso umsichtig und verständnisvoll bist wie mit einem guten Freund. Es meint auch, dass Du Dich trotz Deiner Fehler und Misserfolge annimmst und Verständnis zeigst. Anstatt Dich für eine durchgefallene Prüfung zu kritisieren, nimmst Du diesen Umstand bewusst an und verzeihst Dir selbst. Vielleicht hast Du ja Dein Bestes gegeben aber es war einfach ein schlechter Tag. Oder vielleicht hattest Du den Kopf voller Gedanken um ein anderes Thema. Egal wie: es ist okay auch mal durchzufallen, einen Fehler zu machen. Nur so lernen wir! Zeigt man Selbstmitgefühl mit sich, spricht man mit sich wie mit einem guten Freund. Und den würde man ja auch nicht dafür verurteilen, wenn er mal einen Fehler macht.
Oder?
Der Unterschied zwischen Selbstmitgefühl und Selbstmitleid
Oftmals wird Mitgefühl mit sich selbst zu haben mit Selbstmitleid verwechselt.
Beide Worte zeigen jedoch klare Unterschiede:
„Immer passiert mir sowas!“
Mitleid beschreibt einen eher passiven, antrieblosen Zustand. Man taucht sozusagen völlig in seine Probleme ein und vergisst alles andere. Wenn wir uns selbst bemitleiden, distanzieren wir uns von anderen Menschen, denen es genauso geht wie uns. Es kann den Schmerz, den wir sowieso schon fühlen, unnötig vergrößern. Die Wahrheit ist aber: jeder macht einmal Fehler, jeder gerät einmal in Notsituationen und fühlt sich schlecht. Wir sind niemals alleine mit unseren Sorgen.
„Ich bin einer von vielen, denen es so geht und das ist ok.“
Mitgefühl hingegen ist ein aktiver, positiver Ausdruck von Empathie. Wenn Du Mitgefühl mit Dir selbst zeigst, dann nimmst Du Dich so an wie du bist und zeigst Dir Liebe. Oftmals wünschen wir uns genau diese Dinge von anderen: Liebe, Geborgenheit, Aufmerksamkeit, Zuversicht. All das kannst Du Dir jedoch auch selbst geben. Indem wir uns selbst Mitgefühl schenken, verbinden wir uns auch mit anderen Menschen und deren ganz individuellen Situationen.
Die Vorteile von Selbstmitgefühl
Kristin Neff, eine Professorin für Psychologie aus Texas, vergleicht Selbstmitgefühl mit Selbstwertgefühl. Beide haben einen ähnlichen Vorteil für uns: Selbstliebe. Man kann nie genug davon haben! Während ein zu hohes Selbstwertgefühl oft negativ aufgefasst wird, gibt es beim Selbstmitgefühl keine Grenzen.
Besonders erwähnenswerte Vorteile von Mitgefühl mit uns selbst sind unter anderem ein allgemein besseres Wohlbefinden. Dadurch, dass wir netter zu uns selbst sind, nimmt unsere Lebenszufriedenheit und Verbundenheit zu. Verstehen wir uns und unsere Sorgen besser, so bauen wir auch eine höhere Resilienz auf – mit Stress und Misserfolgen im Leben kann nun besser umgegangen werden. Sich selbst mit Mitgefühl zu behandeln kann auch unsere Beziehung zu anderen Menschen verbessern und fördert unsere Empathiefähigkeit. Innerhalb einer Beziehung kann Selbstmitgefühl außerdem helfen sich fürsorglicher um den eigenen Partner kümmern zu können und lässt uns mehr Verständnis für die Bedürfnisse von anderen haben. Wenn wir uns selbst mit Liebe begegnen, tun wir das auch mit Menschen in unserer Umgebung.
Studien haben außerdem herausgefunden, dass mehr Selbstmitgefühl zu einem stärkeren Immunsystem führen kann und weniger Entzündungssymptome in unserem Körper hervorruft! Ist das nicht klasse?
Selbstmitgefühl lernen
Wie Du Dir selbst mehr Selbstliebe schenken kannst erfährst Du hier!
Kristin Neff setzte sich in ihren Büchern viel mit Selbstmitgefühl auseinander und fasste einige Wege zusammen, die es uns ermöglichen sollen zu lernen, mehr Selbstmitgefühl mit uns selbst zu haben.
Hier ein paar Tipps, wie Du mehr Mitgefühl mit Dir haben kannst:
- Um Dich selbst mehr annehmen zu können, musst Du aufhören Dich mit anderen zu vergleichen. Durch das Bewerten Deines Selbst verurteilst Du Dich, solltest Du nicht dem Ideal der Gesellschaft entsprechen.
- Du solltest erkennen, dass Du viel mehr Facetten hast als nur die Eigenschaften, die Du an Dir so stark kritisierst.
- Lerne, Dich selbst zu akzeptieren: Deine ganz persönlichen Stärken, Schwächen und auch Grenzen.
- Wenn Du Dich in einer schweren Situation befindest, versuche Dich selbst so zu trösten wie Du einen guten Freund oder eine gute Freundin trösten würdest. Das kannst Du tun, indem Du Dir selbst eine Umarmung schenkst, Dir gut zusprichst und Dir Dein Mitgefühl aussprichst. Du wirst sehen, dass Dein Körper darauf reagiert und sich beruhigt und verstanden fühlt!
- Jeder Mensch ist anders, deshalb solltest du herausfinden was DU brauchst. Stell Dir folgende Fragen: Was brauche ich jetzt gerade? Wie kann ich mir helfen? Was kann ich beobachten?
- Versuche einmal Dich so zu sehen, wie Dich ein sehr guter Freund oder eine sehr gute Freundin sehen würde: liebevoll, verständnisvoll, freundlich.
Du siehst also – Mitgefühl mit sich selbst zu haben ist eine total tolle Sache und ein gutes Tool für Dich, um mit schwierigen Situationen umgehen zu können. Es stärkt Deine Resilienz und lässt Dich glücklicher werden.
Ich wünsche Dir ganz viel Spaß dabei, Selbstmitgefühl einmal auszuprobieren!
Die passende Übung zum Thema Selbstmitgefühl findest Du in unserer Ressourcenbibliothek.
Hattest Du schon einmal einen oder mehrere der folgenden Gedanken?
- Immer mache ich alles falsch.
- Ich schaffe das niemals.
- Das bin wieder typisch ich.
- Sowas kann ich nicht.
- Ich bin nicht gut genug.
- Ich bin nicht schlau genug.
- Sowas passiert immer nur mir.
Wenn ja, dann ist es vielleicht an der Zeit Dir mehr Selbstmitgefühl zu schenken.
Positive Auswirkungen von Selbstmitgefühl
- ein besseres allgemeines Wohlbefinden
- Zunahme an Lebenszufriedenheit und Verbundenheit mit uns Selbst
- höhere Resilienz gegenüber Stress und Misserfolgen
- achtsamerer Umgang mit uns Selbst und unseren Mitmenschen
- ein stärkeres Immunsystem
- häufiger gute Laune
Und wie habe ich nun mehr Mitgefühl mit mir selbst?
Um mit dir Mitgefühl haben zu können bedarf es etwas Übung, denn viele von uns sind es nicht gewöhnt nachsichtig mich uns selbst umzugehen. Leider wird Selbstliebe immer noch oft mit etwas Negativen verbunden und hat in der Gesellschaft eine unglückliche Konnotation erhalten. Sind wir zu selbstverliebt, gelten wir als arrogant und eingebildet – obwohl Selbstliebe etwas total Schönes sein kann! Es geht nicht darum, dass man sich über andere Menschen stellt und sie als minderwertig ansieht. Ganz im Gegenteil. Es geht darum, dass wir uns selbst nicht mit anderen vergleichen und uns so annehmen, wie wir nun einmal sind. Inklusive der Macken und Fehler, die uns ausmachen.
Im Folgenden habe ich ein paar Sätze zusammengefasst, die Du in Zukunft nutzen kannst, um Dir mehr Selbstmitgefühl zu schenken:
- Ich bin gut so wie ich bin.
- Ich schätze mich und werde von meinen Liebsten geschätzt.
- Ich habe viele Fähigkeiten und lerne stets dazu.
- Meine Fehler definieren nicht meinen Wert als Mensch.
- Ich bin stolz auf das, was ich bisher erreicht habe und noch erreichen werde.
- Ich bin selbstbewusst, schlau und liebenswert.
- Mein Körper ist schön so wie er ist und begleitet mich stets treu durch mein Leben.
- Ich vergebe mir selbst und lerne immer wieder dazu.
Wie funktioniert diese Übung?
In der folgenden Übung sollst Du Dir einmal vor Augen führen, wie Du in einer belastenden Situation mit Dir selbst umgehst. Durch das Niederschreiben dieser Eindrücke kannst Detwas Abstand gewinnen und hast eine klare Sicht auf die Dinge. Vielleicht bemerkst Du schnell, dass Du Dir gegenüber keinen guten Umgangston pflegst und Dich netter behandeln könntest?
Zu Beginn wirst Du gebeten Dich an eine Situation zu erinnern, in der Du große Sorgen hattest und Dir vielleicht Selbstvorwürfe gemacht hast. Vielleicht einen Streit mit einem geliebten Menschen, bei welchem Dinge gesagt wurden, die gar nicht so gemeint waren? Oder vielleicht gab es eine Situation auf der Arbeit, in welcher Du einen Fehler gemacht hast und Sorge hattest, dass dies zu Problemen mit deinem Vorgesetzen führen könnte.
Danach sollst Du all die Gedanken aufschreiben, die Dir in dieser Situation durch den Kopf gegangen sind. Hast Du Dir vielleicht Vorwürfe gemacht? Fühltest Du Dich schuldig und hattest Angst vor Konsequenzen?
Im dritten und letzten Teil der Übung soll der Fokus weg von Deinen negativen Gedanken und hin zu mehr Selbstmitgefühl geleitet werden. Versuche dort also einmal ganz verständnisvoll mit Dir zu sein und höre in Dich hinein, was Dir geholfen hätte. Warte nicht darauf, dass jemand liebevoll zu Dir ist – sei es zu Dir selbst!